Die beiden japanischen Kampfkünste Jūdō und Jiu-Jitsu wurden in Brasilien abgewandelt und gemeinsam weiterentwickelt, bis im Ergebnis jiu-jitsu brasileiro (portugiesisch) beziehungsweise das Brasilianische Jiu-Jitsu (BJJ) daraus entstand. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bodenkampf, der aber um zusätzliche Wurftechniken (aus dem Stand heraus) erweitert ist.

BJJ ist sozusagen die südamerikanische Abwandlung des Kōdōkan-Jūdō, die durch die Gebrüder Helio und Carlos Gracie entwickelt wurde. Es war zunächst Carlos Gracie, der Judō bei Mitsuyo Maeda, der wiederum ein Schüler von Kanō Jigorō war, lernte und damit sofort seinen kleinen Bruder Helio begeisterte. Dieser war zwar körperlich etwas schwach, sodass er mit dem traditionellen japanischen Jiu-Jitsu nicht so gut zurechtkam, aber er erkannte schnell, dass durch Modifikationen in den Techniken günstigere Hebelwirkungen zu erzielen waren. Beide Brüder unterrichteten dann auch ihre Kinder mit ihrer Auffassung des Judō und schufen auf diese Weise sogleich die nächste Kämpfergeneration, aus der ebenfalls gute Lehrer für das Brazilian Jiu Jitsu hervorgingen. Die Effizienz des neuen Stils konnte immer wieder in zahlreichen Vale Tudo Herausforderungskämpfen unter Beweis gestellt werden.

In den 1970er Jahren ging Rorion Gracie (ein Sohn von Helio Gracie) in die USA. Dort unterrichtete er seinen „familiären“ Kampfstil in einer Garage. Mit der Zeit interessierten sich dort immer mehr Menschen für sein Angebot. Zu Beginn der 1990er Jahre konnte Rorion dann eine Akademie in Los Angeles eröffnen und gemeinsam mit dem Werbefachmann Art Davie wurde daraus der Verband „UFC“ (Ultimate Fighting Championships) gegründet.

Man muss nicht der Stärkste sein

Diese Kämpfe wurden im amerikanischen Fernsehen (Pay-per-View) übertragen und umfassten ganz unterschiedliche Kampfstile. Royce Gracie ist ebenfalls ein Sohn von Helio Gracie und er gewann, wohlgemerkt als leichtester Teilnehmer, gleich drei von vier UFC-Turnieren, indem seine Gegner den Kampf mit „Submission“ selbst aufgaben. Sein Kampfstil ist für BJJ-Kämpfer noch heute prägend.

Die letzten 80 Jahre haben es eindeutig gezeigt, dass Brazilian Jiu-Jitsu genau das Richtige ist für Personen, die im ersten Eindruck äußerlich etwas klein uns schwächlich wirken, um auch größere, athletische Gegner bezwingen zu können. Daher entdecken nun immer mehr Frauen die Potenziale dieses Kampfsports für sich, denn die Techniken des BJJ setzen vor allem auf ein sehr präzises Timing und auf eine Optimierung der Hebelwirkungen unter Ausnutzung des Schwungs (Trägheitsmoments), das der Gegner selbst aufgebaut hat. Es geht also um die Kenntnis und Anwendung von Physik und das kann jeder erlernen, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung, ob fit oder körperlich etwas eingeschränkt. Beim Brazilian Jiu Jitsu wird ökonomisch gekämpft. Bewegungen, die viel Kraft erfordern, werden geradezu gemieden, weil diese einem stärkeren Gegner nur in die Hände spielen. Das ist auch der Grund dafür, dass BJJ als das „Schach auf der Matte“ gilt.

Bei diesem Kampfsport besteht das Ziel darin, den Gegner durch unangenehme Würge- und Hebelgriffe zur Aufgabe zu zwingen. Dies ist aus allen Positionen heraus möglich und darin besteht eigentlich auch das Erfolgsgeheimnis von BJJ, das ganz berechtigt als „Submission Wrestling“ bezeichnet wird. Die Hebeltechniken lassen sich übrigens gut ansetzen, wenn die Kämpfer bereits Positionen am Boden einnehmen, also zu einem Zeitpunkt, wenn eine solche Situation bei anderen Sportarten den Kampf entscheidet. Beim BJJ dagegen geht der Kampf nun erst richtig los. Um also den Gegner schnell zu Boden zu ringen, werden zunächst Judo-Techniken angesetzt. Dazu wird der Gegner sogar angesprungen oder ein Kämpfer geht bewusst zu Boden, um dem Gegner die Beine wegzuziehen und die Hebel- und Würgegriffe ansetzen zu können. Am Ende wird derjenige der Sieger sein, der mit minimalem Kraftaufwand eine maximale Wirkung erzielen kann, so lautet auch ein Grundsatz beim Brazilian Jiu-Jitsu.

Brazilian Jiu-Jitsu als Fitness-Sport

BJJ bedeutet zugleich Selbstverteidigung, Wettkampfsport und die Möglichkeit, seinen Fitnesslevel ganz allgemein auf ein höheres Niveau zu bringen. Das alles harmoniert deshalb so gut miteinander, weil das Brazilian Jiu-Jitsu zusätzliche Elemente aus dem Ginastica Natural beinhaltet, einer auch aus Brasilien stammenden Gymnastik, die auf der Grundlage des eigenen Körpergewichts gezielt die Kraft, Ausdauer und Agilität zu steigern hilft. Dabei werden sogar (unscheinbare) Muskelgruppen trainiert, von deren Existenz die meisten gar nichts wissen.

Jede BJJ-Trainingseinheit startet selbstverständlich mit einer Aufwärmphase. Sie erinnert den Sportler immer wieder an die Grundlagen der Bewegungsabläufe und hilft beim Aufbau der Körperspannung, bei der Kräftigung der Muskulatur sowie bei der Koordination der schnellen Bewegungen. Danach werden die Wurftechniken sowie die Hebel- und Würgegriffe trainiert. Last, not least geht es im Training auch um mentale Strategien bei den unterschiedlichen Kampf- und Selbstverteidigungssituationen, die häufiger vorkommen können.

Die darauf folgende Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Erlernte sehr praxisnah gegen den Widerstand eines „Gegners“ angewendet wird. Diese Art der Trainingskämpfe findet „in aller Freundschaft“ statt, das heißt, jeder Sportler ist stets darum bemüht, seinen Partner nicht zu verletzen. Gerade Anfänger werden von erfahrenen Kämpfern besonders behutsam an dieses Training herangeführt. Alle BJJ-Teilnehmer bestätigen stets unisono, dass dieser Sport mit viel Spaß und Humor, Freude an der Bewegung und vor allem mit einem hohen Maß an Solidarität und gegenseitigem Respekt verbunden ist, sodass das Training von jedem Beteiligten als große persönliche Bereicherung empfunden wird.